Naika Foroutan ist Professorin für Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik und Gründungsmitglied des BIM (Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung). Was mich besonders anzieht an Die postmigrantische Gesellschaft ist, dass Naika eben empirisch forscht.
Ich befasse mich jetzt schon seit vielen Jahren mit dem Thema Migration aber vor allem damit, warum wir in Deutschland gefühlt stillstehen in Bezug auf unser Zusammenleben. Ich nehme wahr, dass öffentliche Diskurse oft ohne Tiefe geführt werden und auch ohne den Willen, das Thema des Zusammenlebens in einer wirklich offenen Gesellschaft zu durchdringen. In mir haben sich Eindrücke gebildet. Oft habe ich das Gefühl, dass mir dennoch wirklich belastbare Fakten und Zahlen fehlen und das, obwohl über Rassismus geschrieben und berichtet wird, seit vielen Jahren. Ich halte mich mit eigenen Bewertungen zurück, Tatsachen sprechen für sich, ich greife im Alltag allerdings dann ein, wenn Benachteiligung stattfindet, höre manche sogenannten Argumente immer wieder, stelle fast genauso oft fest, dass Argumentieren nicht verfängt. Ich denke, die ewige Suche nach noch mehr Fakten kommt daher, dass etwas in mir immer noch glaubt, dass dann, wenn ich diese harten, objektiven Fakten habe, dass dann Einsicht kommt auf der Gegenseite, also bei denen, die unverblümt Menschen herabsetzen, ausgrenzen, verletzen. Freunde, die migrantisch gelesen werden, sind da oft weiter. Sie lassen nicht zu, das andere für sie entscheiden, was ihnen zusteht. Stattdessen nehmen sie sich, was ihnen zusteht. Soweit so gut? Nein. Ich erlebe jeden Tag, wie Menschen verletzt werden durch Ausgrenzung. Die Bandbreite zwischen offenem Rassismus und einem Rassismus der passiert weil viele Menschen einfach gar nicht merken, wie oft sie Gelerntes weitergeben auch wenn dieses Gelernte längst verlernt gehören würde weil es Rassismen enthält und immer wieder neu verletzt ist riesig und ich habe nicht den Eindruck, dass es Fortschritte gibt. Ich vermute, ich bin da manchmal zu pessimistisch denn auch Positives lässt sich erkennen in Die postmigrantische Gesellschaft.
Deutschland ist seit 2001 ganz offiziell ein Einwanderungsland. Im Grunde waren wir es schon so viel länger. Wir sind eine offene Gesellschaft. Aber, sind wir das wirklich? Es gibt einen Unterschied zwischen der offiziellen Haltung und der Erzählung die wir uns geben und dem Verhalten vieler. Und seit einigen Jahren scheinen wir uns sogar zurück zu entwickeln. Genau hier kommt Naika Foroutan und ihr Team ins Spiel: Wie ich schon sagte, forscht Naika empirisch. Sie hat Daten erhoben, die aussagekräftig sind und sie analysiert diese Zahlen und sie tut noch weitaus mehr. Die postmigrantische Gesellschaft ist unsagbar kenntnisreich, liefert über die Auswertung der Befragungen hinaus auch Aussagen anderer Wissenschaftler, die sich die Situation aus ihrer Perspektive anschauen, die andere Forschungsansätze verfolgen aber zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Neben dem Text an sich bekomme ich so unzählige Querverweise auf Autoren, Forscher und einfach kluger Menschen, die schon seit vielen Jahren und nicht selten Jahrzehnten zu eben diesen Phänomenen forschen, auch international. Ich erhalte also eine mächtige empirische Grundlage, dazu Quellenverweise, die mich glücklich machen weil sie noch viel mehr Tiefe in einen wissenschaftlichen Diskurs ermöglichen. Im letzten Teil des Buches nimmt Naika eigene Einschätzungen vor, stellt Fragen zu Themen, die noch weiter erforscht werden sollten/könnten und macht auch Vorschläge, wie es weitergehen kann mit unserem Zusammenleben.
Nein, da ist kein einfaches Happy End. Aber, wie sollte das auch möglich sein? Auf der einen Seite das Versprechen des Grundgesetzes in dem jedem Menschen unveräußerliche, individuelle Freiheitsrechte versprochen werden. Der größte Teil der Mehrheitsgesellschaft glaubt, dass diese Versprechen eingelöst werden. Alltag für die, die nicht als biodeutsch gelesen werden ist, dass sie schlechter bezahlt werden bei gleicher Ausbildung, dass sie keine Wohnung finden, wenn sie kein/keine Jens, Matthias oder Lisa sind, sie müssen erleben, dass ihre Kinder schlechter bewertet werden bei gleichen Leistungen, sie erdulden tagtäglich racial profiling und im schlimmsten Fall werden sie körperlich angegriffen und sogar getötet. Das ist Alltag, 24/7, ohne die Möglichkeit zu entkommen. Lest das Buch! Naika Foroutan hat die unerhört wertvolle Gabe, packend zu schreiben, kenntnisreich den Finger in die Wunde zu legen.