Was soll ich sagen. Diese Biografie ist ein Klassiker und ich bin begeistert davon, wie sehr es Elisabeth Young-Bruehl schafft, das Gefühl zu vermitteln für diese Zeit. Und Hannah Arendts Lebensweg ist ohnehin eine permanente Begegnung mit Menschen, die mich schon seit vielen Jahrzehnten faszinieren. Ich las die Biografie schon einmal. Damals war ich 20 Jahre alt, vielleicht auch 21. Wie wenig ich damals begriffen habe, weil mir die Verbindungspunkte fehlten. Jetzt, mehr als 30 Jahre später sind viele Zeitzeugen von Hannah Arendt Teil meiner Gedankenwelt. Die Beschäftigung mit Israel und den Vorgeschichten, die zur Gründung geführt haben beschäftigen mich gerade auch wieder sehr. Dazu später mehr und an anderer Stelle. Diskussionen, die ich nun aus einer Persepktive des gefühlten Dabei-Seins wahrnehme, die vielen Querverweise auf Autoren und Bücher, die ich noch lesen will oder die ich wieder lesen will. Arendt wird auch heute gefühlt immer noch mit der Eichmann-Kontroverse identifiziert und viel zu oft auf diese reduziert. Dabei war sie so viel mehr. All die Texte, die sie schrieb, all die Briefe, die sie oft über Jahrzehnte mit, ich will fast sagen, der ganzen Welt, verbunden hat, immer wieder. Ihre unfassbare Lehrtätigkeit. Die New School, die Columbia, ein so reiches Leben. Ich habe dank der Mittel, die wir heute haben, via Maps nachvollzogen, wo sie mit Heinrich Blücher gelebt hat, wie die Wege waren zur Columbia oder später zur New School oder an andere Wirkungsstätten. Was für eine Reise! Das Buch ist faszinierend aber vor allem strahlt Hannah Arendt in meinem Kopf. Es wird ihr ja heute abgesprochen, aber ich halte sie für eine intersektional denkende Feministin (sie selbst hatte so ihre Probleme mit diesem Begriff). Sie schrieb keine feministischen Essays, aber sie lebte ein offensiv selbst bestimmtes Leben und hat sich das von Niemandem absprechen lassen.
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Es ist schwer optimistisch zu sein in diesen Zeiten. Mag sein, dass wenn diese Zeilen von anderen gelesen werden, dass Leser das anders sehen. Mein Alltag ist geprägt von Gedanken über das Zusammenleben in Deutschland. Wir stehen kurz vor dem 19.02.. Dann jährt sich der Anschlag von Hanau erneut. Der Vater des Täters bedroht, so konnte man es erst in den letzten Wochen wieder lesen, die Hinterbliebenen, er nähert sich den Räumlichkeiten der Bildungsinitiative Ferhat Unvar. Er darf das nicht, tut es aber trotzdem. Von Polizei und Staatsanwaltschaft hört man darüber Statements, bei denen ich das Achseln-Zucken geradezu sehen kann. Wie kann das sein? Ich könnte jetzt weitermachen mit der Nennung unzähliger rassistischer Übergriffe und mehr. Und ich sehe, wenn ich U-Bahn oder S-Bahn fahre, was Alltags-Rassismus ist.
Entschlossenheit. Mut. Kompetenz
In diesen Tagen lese ich viel. Bücher sind meine ganz persönliche Schutzzone. Gerade hat Selma Wels anders bleiben herausgebracht. Darin schreiben viele Autor*innen Briefe. Diese Briefe sind bewegend, sie sind unsagbar einfühlsam, sie rütteln auf, sind aber vor allem geprägt von einer unerhörten Kraft, von Wissen, vom Willen sich den Platz im Leben, den sich jeder Einzelne erkämft hat, zu verteidigen. Eine Generation steht auf den Schultern ihrer Eltern, Onkels, Tanten, Großeltern und sie stehen auf den Schultern ihrer Herkunfs-Kulturen. Allen gemein sind Geschichten vom Ankommen, es sind Geschichten vom Hier-Sein, es sind Geschichten vom Hier-Geboren-Sein-Und-Doch-Nicht-Akzeptiert-Sein, es sind aber vor allem Geschichten vom stoischen und hartnäckigen Bauen an Zukunft, es sind Geschichten vom Verwurzeln und es sind Geschichten davon, dass Wurzeln sich weit verbreiten können, nicht selten über Erdteile hinweg. Die Briefe strahlen förmlich Wort für Wort, Gedanke für Gedanke und ich lese sie und finde dort die Zukunft, von der ich schon so lange träume. Zusammen Leben. Unterschiede als das sehen was sie sind: Eine große, unfassbare Stärke.
Und eben weil wir auf den Jahrestag des Anschlages von Hanau zugehen und weil jeder Tag ein Tag des Dran-Denkens ist, #saytheirnames:
Said Nesar Hashemi
Hamza Kenan Kurtović
Ferhat Unvar
Sedat Gürbüz
Fatih Saraçoğlu
Gökhan Gültekin
Vili Viorel Păun
Mercedes Kierpacz
Kaloyan Velkov