Worte. Bilder. Mehr beta wagen

Monat: Juni 2023

Theodor W. Adorno. Aspekte des neuen Rechtsradikalismus

Theodor W. Adorno. Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Mit einem Nachwort von Volker Weiß

Gerade erst habe ich Die postmigrantische Gesellschaft ausgelesen von Naika Foroutan, da besprang mich geradezu ein Gedanke. War da nicht etwas? Empirische Sozialforschung? Frankfurter Schule, das Institut für Sozialforschung, Horkheimer, Adorno?

Ich muss euch etwas gestehen: Ich kenne Essays, Niederschriften von Reden Adornos, Horkheimers und anderer, die direkt oder indirekt der Frankfurter Schule zugeordnet werden aber ich habe bisher die originalen Schriften nie gelesen. Ich nehme diese Begegnung von Foroutan und Adorno jetzt einfach als Anlass. Heute las ich also die Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Ich habe oben im Titel auch Volker Weiß genannt und sein Nachwort. Die Rede Adornos, die er 1967 an der Universität Wien hielt, ist schon prägnant und nicht selten habe ich mich dabei ertappt, ob er diese Rede heute gehalten habe, so aktuell klingen seine Analysen und Bewertungen. Und trotzdem sind die Worte von Volker Weiß sinnstiftend weil sie einordnen und zusätzlichen Kontext geben.

Das Institut für Sozialforschung und seine prägenden Autoren sollen also in den nächsten Monaten meine Begleiter werden. Ich freue mich sehr darauf, auch weil die Beschäftigung mit dem IfS Anlass gibt, sich wieder einen neuen Aspekt in Bezug auf Frankfurt anzuschauen, genauer Frankfurt und die Goethe-Universität. Max Horkheimer, der 1948 zu Sondierungsgesprächen in Sachen des Rück-Umzuges des Institutes in Frankfurt war, schrieb in einem Brief an seine Frau Maidon:

Sie wissen noch nicht genau, sollen sie in mir einen relativ einflußreichen Amerikareisenden oder den Bruder ihrer Opfer sehen, dessen Gedanke die Erinnerung ist. Sie müssen sich fürs letztere entscheiden.

Quelle: Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, hg. von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, Bd. 17: Briefwechsel von 1941 – 1948, Frankfurt 1996 (S. 975-978)

Ich liebe Frankfurt. Aber zum Lieben gehört, dass man das ganze Wesen eines Menschen, einer Stadt, eines Dings wahrnimmt. Finde ich.

 

Naika Foroutan. Die postmigrantische Gesellschaft. Ein Versprechen der pluralen Demokratie

Naika Foroutan. Die postmigrantische Gesellschaft. Ein Versprechen der pluralen Demokratie

Naika Foroutan ist Professorin für Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik und Gründungsmitglied des BIM (Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung). Was mich besonders anzieht an Die postmigrantische Gesellschaft ist, dass Naika eben empirisch forscht.

Ich befasse mich jetzt schon seit vielen Jahren mit dem Thema Migration aber vor allem damit, warum wir in Deutschland gefühlt stillstehen in Bezug auf unser Zusammenleben. Ich nehme wahr, dass öffentliche Diskurse oft ohne Tiefe geführt werden und auch ohne den Willen, das Thema des Zusammenlebens in einer wirklich offenen Gesellschaft zu durchdringen. In mir haben sich Eindrücke gebildet. Oft habe ich das Gefühl, dass mir dennoch wirklich belastbare Fakten und Zahlen fehlen und das, obwohl über Rassismus geschrieben und berichtet wird, seit vielen Jahren. Ich halte mich mit eigenen Bewertungen zurück, Tatsachen sprechen für sich, ich greife im Alltag allerdings dann ein, wenn Benachteiligung stattfindet, höre manche sogenannten Argumente immer wieder, stelle fast genauso oft fest, dass Argumentieren nicht verfängt. Ich denke, die ewige Suche nach noch mehr Fakten kommt daher, dass etwas in mir immer noch glaubt, dass dann, wenn ich diese harten, objektiven Fakten habe, dass dann Einsicht kommt auf der Gegenseite, also bei denen, die unverblümt Menschen herabsetzen, ausgrenzen, verletzen. Freunde, die migrantisch gelesen werden, sind da oft weiter. Sie lassen nicht zu, das andere für sie entscheiden, was ihnen zusteht. Stattdessen nehmen sie sich, was ihnen zusteht. Soweit so gut? Nein. Ich erlebe jeden Tag, wie Menschen verletzt werden durch Ausgrenzung. Die Bandbreite zwischen offenem Rassismus und einem Rassismus der passiert weil viele Menschen einfach gar nicht merken, wie oft sie Gelerntes weitergeben auch wenn dieses Gelernte längst verlernt gehören würde weil es Rassismen enthält und immer wieder neu verletzt ist riesig und ich habe nicht den Eindruck, dass es Fortschritte gibt. Ich vermute, ich bin da manchmal zu pessimistisch denn auch Positives lässt sich erkennen in Die postmigrantische Gesellschaft.

Deutschland ist seit 2001 ganz offiziell ein Einwanderungsland. Im Grunde waren wir es schon so viel länger. Wir sind eine offene Gesellschaft. Aber, sind wir das wirklich? Es gibt einen Unterschied zwischen der offiziellen Haltung und der Erzählung die wir uns geben und dem Verhalten vieler. Und seit einigen Jahren scheinen wir uns sogar zurück zu entwickeln. Genau hier kommt Naika Foroutan und ihr Team ins Spiel: Wie ich schon sagte, forscht Naika empirisch. Sie hat Daten erhoben, die aussagekräftig sind und sie analysiert diese Zahlen und sie tut noch weitaus mehr. Die postmigrantische Gesellschaft ist unsagbar kenntnisreich, liefert über die Auswertung der Befragungen hinaus auch Aussagen anderer Wissenschaftler, die sich die Situation aus ihrer Perspektive anschauen, die andere Forschungsansätze verfolgen aber zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Neben dem Text an sich bekomme ich so unzählige Querverweise auf Autoren, Forscher und einfach kluger Menschen, die schon seit vielen Jahren und nicht selten Jahrzehnten zu eben diesen Phänomenen forschen, auch international. Ich erhalte also eine mächtige empirische Grundlage, dazu Quellenverweise, die mich glücklich machen weil sie noch viel mehr Tiefe in einen wissenschaftlichen Diskurs ermöglichen. Im letzten Teil des Buches nimmt Naika eigene Einschätzungen vor, stellt Fragen zu Themen, die noch weiter erforscht werden sollten/könnten und macht auch Vorschläge, wie es weitergehen kann mit unserem Zusammenleben.

Nein, da ist kein einfaches Happy End. Aber, wie sollte das auch möglich sein? Auf der einen Seite das Versprechen des Grundgesetzes in dem jedem Menschen unveräußerliche, individuelle Freiheitsrechte versprochen werden. Der größte Teil der Mehrheitsgesellschaft glaubt, dass diese Versprechen eingelöst werden. Alltag für die, die nicht als biodeutsch gelesen werden ist, dass sie schlechter bezahlt werden bei gleicher Ausbildung, dass sie keine Wohnung finden, wenn sie kein/keine Jens, Matthias oder Lisa sind, sie müssen erleben, dass ihre Kinder schlechter bewertet werden bei gleichen Leistungen, sie erdulden tagtäglich racial profiling und im schlimmsten Fall werden sie körperlich angegriffen und sogar getötet. Das ist Alltag, 24/7, ohne die Möglichkeit zu entkommen. Lest das Buch! Naika Foroutan hat die unerhört wertvolle Gabe, packend zu schreiben, kenntnisreich den Finger in die Wunde zu legen.

Seite 2 von 2

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén