Ich war unzufrieden. Ich war sehr lange unzufrieden. Ich hatte das Gefühl, dass unser Zusammenleben zusammenbrach und ich konnte mir nicht wirklich erklären wie das geschehen konnte. Ich spreche vom Zusammenleben in unserer Gesellschaft, in unseren Gesellschaften. Ich spreche von Kriegen und dem Umgang mit Menschen, die nicht weniger als ihr Leben retten wollen. Hierzulande wollen Menschen andere Menschen dominieren, sie hören nicht mehr zu, schauen nicht mehr hin. Nicht mehr? Momentan und schon seit einigen Jahren lese ich. Ich lese so viel wie nie. Lesen erschließt neue Quellen. Ich finde endlich Quellen, die Komplexität darstellen und fassen können und helfen, Zusammenhänge zu begreifen.

Wieso wir uns nicht mehr zuhören. An diesem mehr habe ich mittlerweile starke Zweifel. In Die Bedeutung von Klasse von bell hooks erfahre ich viel darüber, wie Zugehörigkeit und Teilhabe funktioniert. Oder wie man Zugehörigkeit und Teilhabe verweigert. Ich habe schon lange Zweifel an der Behauptung, wir würden in einer klassenlosen Gesellschaft leben und jeder könne auch hierzulande seinen Platz finden, könne beispielsweise studieren und etwa einen beruflichen Weg einschlagen, den sie und er sich wünscht. Die Hürden sind hoch. Es gibt Wege und Ideen des Zusammenlebens. Zunächst will ich aber so viele Welten kennenlernen wie möglich. Sie sind alle da und sie waren schon immer da, alle gleichzeitig. Hadija Haruna-Oelker führt uns das in Die Schönheit der Differenz – Miteinander anders denken anschaulich und bereichernd vor Augen. Und ich will auch nicht behaupten, man hätte diese Welten ferngehalten von mir. Richtig ist, dass sie nicht immer einfach zu finden sind oder besser: Ich lerne, anders zu schauen, ich forsche nach, suche aktiv diese anderen Wirklichkeiten. Ich fühle mich auf dem Weg. Zuletzt beim Lesen von Emine Sevgi Özdamar wundervollem Ein von Schatten Begrenzter Raum.

Und gerade lese ich erneut Navid Kermanis Entlang der Gräben. So viele Eindrücke von seiner Reise von Köln nach Isfahan. So viele Eindrücke aus Polen, Belarus, der Ukraine mitsamt der Krim, von Russland. Als das Buch erschien, schien es um Zuwanderung zu gehen und um den Flüchtlingsstrom, der uns damals stark beschäftigt hat. Heute gibt es immer noch Flüchtlingsströme, überall. Ich lese davon, dass Menschen zwischen Flüchtlingen unterscheiden. Schon wieder Ausgrenzung, schon wieder treten wir viel zu oft in die Falle des Auseinander-Dividierens. Wir sehen die relativ kleinen Unterschiede und sind viel zu oft in der Lage, die Gemeinsamkeiten nicht zu sehen. Ich lerne und könnte bei jeder Seite schreien vor Glück. Gleichzeitig schäme ich mich, dass ich mich viel zu lange Abspeisen hab lassen mit verkürzten Erklärversuchen. Verkürzt und untauglich und nicht selten entsprang hinter diesen Krücken die Agenda von Jemandem oder einer Gruppe.

Wir können es so viel besser. Ich bin jetzt auf den Weg..